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#11 - Blick in den Keller - Die Schatten

Der See ...

 

Meine Reise zeigt allmählich eine gewisse Struktur, nach der alles abläuft. Ich werde in immer tiefere Schichten geführt. Gefühlt scheine ich nun im Keller angekommen zu sein. Was sich als Bild zeigt ist überraschend. Vor meinem inneren Auge entsteht ein großer dunkelblauer See mit spiegelglatter glänzender Oberfläche umgeben von Bergen. Ich denke, der See steht für meine Gefühlswelt, meine Wünsche und Bedürfnisse. Es ist, als ob sich nach und nach eine innere Landkarte in mir entfaltet, die mir Orientierung bietet und mir zeigt, wo ich stehe auf meiner Reise.

 

Manchmal komme ich mir wie in einem Computerspiel vor, in dem nach bestandener Aufgabe ein neues Level freigeschaltet wird, das mir neue Erkenntnisse und Fähigkeiten verspricht. Ich scheine immer mehr die Haupfigur in diesem (Lebens)Spiel einzunehmen. Es ist als ob ich langsam in diese Hauptrolle hineinwachse, begleitet von meinen Gefährtinnen (den inneren Anteilen). Eigentlich ist das doch schön. Und dennoch kann ich keine direkte Freude verspüren, darüber wie weit ich schon gekommen bin - trotz all dieser schmerzhaften Begegnungen. Warum ist das so? 

 

In diesem Zusammenhang kommt mir wieder C.G. Jung in den Sinn und sein Archetyp "Der Schatten". Der Schatten ist einer unserer wichtigsten Persönlichkeitsanteile, er symbolisiert die abgespaltenen und nicht beachteten Aspekte in uns, z.B. nicht verarbeitete - meist frühkindliche - Verletzungen (innere Kinder). Oder auch persönliche Eigenschaften, die von uns ablehnt werden (sei es aus Angst, Scham oder sonstigen Gründen). Alle diese unterdrückten Anteile haben die Kraft, aus dem Unterbewusstsein zu wirken und uns von dort aus zu steuern. Sie leben als eigenständige Persönlichkeitsschnipsel im Verborgenen.

 

Es kann sein, dass neben den leidvollen Erfahrungen auch positive Dinge und Gefühlszustände ins Unterbewusstsein verschoben werden, um dort in Vergessenheit zu geraten. Das können besondere Fähigkeiten, Leidenschaften und Neigungen, aber auch Empfindungen wie Freude, Glück, Gelassenheit usw. sein. Diese Eigenschaften werden dann mit dem Schmerz zusammen weggesperrt und stehen der Persönlichkeit als Möglichkeit sich auszudrücken nicht mehr zur Verfügung, obwohl man doch ursprünglich mit ihnen auf diese Welt gekommen ist. Da es unbewusst sehr viel Energie kostet, diese abgespaltenen Anteile versteckt zu halten, fehlt die Kraft dafür an anderer Stelle. Und damit fallen mir wieder meine "erwachsenen" Gefühlsanteile ein - die Erschöpfte, die Gefangene und die Erstarrte, die sich alle drei abgekämpft und energielos fühlen. Vielleicht haben sie etwas mit den Schatten zu tun?! Allerdings habe ich sie in letzter Zeit nicht mehr viel gespürt. 

 

Dialog mit den Schatten ...

 

Es ist so, als würden die Erschöpfte, die Gefangene und die Erstarrte auf etwas warten. Darauf, dass es irgendwie weiter geht. Dass ich ihnen ein Angebot mache. Aber was für ein Angebot soll das sein? Wahrscheinlich dass ich mich aktiv um meine Bedürfniserfüllung kümmere. Doch ich weiß nicht, wie ich das angehen kann, und beschließe daher noch einmal in mich hineinzuhorchen und einen inneren Dialog zu führen. Damit habe ich ja schon einmal gute Erfahrungen gemacht. Schließlich habe ich über diese Technik meine inneren Anteile überhaupt erst kennengelernt bzw. den Kontakt zu ihnen hergestellt.

      

Und hier die Fragen und Antworten:

 

  • Die Erschöpfte

 - Was ist die Aufgabe der Erschöpften in mir? Was sind ihre Bedürfnisse?

Im Moment hat sie keine konkrete Aufgabe. Sie fühlt sich emotional erschöpft. Ihre Kräfte sind bis auf das Letzte aufgebraucht. Schon lange sucht sie nach innerem Ausgleich, hat aber keine wirkliche Muße sich darum zu kümmern. Überhaupt sind ihr die eigenen Bedürfnisse fremd, da sie immer glaubte es nicht verdient zu haben, selbst etwas zu wollen, zu begehren. Sie musste immer lieb und artig sein. Das Leben ist gefährlich und bietet keinen Platz für eigene Ideen. Brave Mädchen stellen auch keine lauten Fragen, um bloß nicht aufzufallen oder im Mittelpunkt zu stehen und andere zu beschämen. So ist es besser und man hat auch seine Ruhe. Versteckt zu sein und unsichtbar bedeutet Sicherheit. 

- Worauf wartet sie?

Die Erschöpfte möchte aus ihrer Selbstbeschränkung befreit werden.

 

  • Die Gefangene

 - Was ist die Aufgabe der Gefangenen in mir? Was sind ihre Bedürfnisse?

Auch sie hat im Moment keine konkrete Aufgabe. Bisher hat sie mir durch den ständigen Aufenthalt im Hamsterrad geholfen, den Alltag zu strukturieren, vor allem aber auch zu kontrollieren. Sie musste sich immer anstrengen. Nun benötigt sie neue Ziele und Wegweisungen, um mich weiter hin durch mein Leben zu begleiten. Die Entscheidung dies zu tun, muss von mir selber kommen und nicht von ihr.

- Worauf wartet sie?

Die Gefangene wartet darauf, dass Veränderungen (die nächsten Schritte) herbeigeführt werden.

 

  • Die Erstarrte 

- Was ist die Aufgabe der Erstarrten in mir? Was sind ihre Bedürfnisse?

Die Erstarrung befindet sich im ganzen Körper. Es ist ein Körperzustand, der sich über die darunter liegenden Ängste vor dem Alleinsein und dem Sterben gelegt hat, um diese nicht mehr spüren zu müssen. Denn diese Ängste sind mächtig und kaum auszuhalten. Daher musste die Erstarrte auch immer sehr stark sein. Gleichzeitig gibt es eine große Sehnsucht nach Ganzheit, Freiheit und inneren Frieden. Diese Energien kommen aus derselben Quelle wie die Ängste und führen zu innerer Zerrissenheit. 

- Worauf wartet sie?

Die Erstarrte in mir wartet darauf von ihrer inneren Zerrissenheit befreit zu werden.

 

Bedürfnisse der Schatten

 

Die Antworten aus den Dialogen bringen keine wirklich neuen Erkenntnisse. Wo steckt dieses Ich in mir, an das sich die drei richten? Die Grenzen verschwimmen immer mehr. Als ich mit dem Aufschreiben begonnen habe, war ich noch die Erzählerin, die mit Abstand von außen auf die Geschichte blickt. Zwischendurch gab es so ein Gefühl wie „hinter die Kulissen zu blicken“, als ich anfing den Kontakt zu den einzelnen Anteilen herzustellen. Inzwischen - je tiefer ich komme - hat sich die ganze Sache irgendwie umgedreht, und ich stecke quasi in mir selbst. Jetzt schaue ich von innen nach außen. Und plötzlich wird mir klar, die Erstarrte das bin ich selber, als die jetzt und hier schreibende Andrea. Ich bin von der "unbeteiligten" Erzählerin zu der "sich fühlenden" Erstarrten geworden, und diese ist die Heldin dieser Reise. Allerdings im Moment eine noch sehr ängstliche und ahnungslose Heldin. Die anderen beiden Anteile (die Erschöpfte und die Gefangene) stehen mir gefühlt als Gefährtinnen links und rechts zur Seite. Sie stehen auf gleicher Augenhöhe mit mir. Beide gucken mich (bildlich gesprochen) „mit großen Augen“ an und warten auf einen Hinweis von mir (der Erstarrten), wie es nun weitergeht. Doch das ist gar nicht so einfach. Irgendetwas in mir sperrt sich dagegen, den nächsten Schritt zu gehen. Und ich weiß nicht, wer oder was es ist, dass hier so blockiert. Vielleicht sind es die Glaubenssätze ... An dieser Stelle bleibe ich hängen und trete eine sehr, sehr lange Weile auf der Stelle.

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