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#3 - Der innere Ruf - Zurück im Hamsterrad

Nähe als Gefahr ...

 

Leider hält diese sehr intensive Lebensphase nicht ewig an. Mit Mitte 40 empfinde ich das Leben erneut erschöpfend und anstrengend. Ständig habe ich das Gefühl, zu wenig Zeit für alles zu haben. Für alle anstehenden Aufgaben, für den Haushalt, für die sozialen Kontakte, für meinen Freund, für meine Tochter und am Ende für mich selbst. Alles zu schaffen (vor allem so wie ich es mir vorstelle) kostet immer wieder viel Kraft. Das Hamsterrad, das ich einst hinter mir gelassen habe, ist inzwischen erneut mein Zuhause. So habe ich mir den Aufbruch in ein neues Leben nicht vorgestellt.

 

Der permanent gefühlte Freizeitmangel hat zur Folge, dass ich gern mit mir alleine bin, um mich auszuruhen und wieder auf zu tanken. In mir entwickelt sich eine Überzeugung, dass ich mit weniger Kontakt und Nähe auskommen kann als andere Menschen. Damit fühle ich mich gut und unabhängig. So ist mein Selbstbild. Und gleichzeitig ist es eine Art Berechtigung, dass ich mich ohne schlechtes Gewissen und ohne andere vor den Kopf zu stoßen zurückziehen kann und darf. Dass es im Grunde auch isoliert und einsam macht (zumindest innerlich), ist mir zu dieser Zeit (noch) nicht bewusst.

 

Wenn andere Menschen das Bedürfnis nach emotionaler Nähe an mich herantragen, löst dies bei mir oft großen Erwartungsdruck aus und führt zu einer Art inneren Zerrissenheit. Meinem eigenen Wunsch nach Rückzug steht dann das Bedürfnis der Anderen nach Gemeinsamkeit gegenüber. Selbstzweifel führen im Ergebnis dazu, dass ich das Gefühl habe, nicht „richtig“ zu sein und mich in Folge nicht angenommen fühle. Dass es doch im Grunde sehr schön und sehr befriedigend sein könnte, wenn andere Menschen mit mir zusammen sein wollen, kann ich an dieser Stelle nicht sehen und erst recht nicht fühlen. Ich stehe mir selbst im Wege.

 

Ein ziemliches Dilemma, das in der Beziehung insbesondere zu meiner Mutter immer wieder eine große Rolle spielt. Auf Distanz zu gehen (so wie ich es mir wünsche), fühlt sich nicht gut an (nicht wenn es sie verletzt, was ich im Grunde nicht will). Außerdem fühle ich mich schuldig (So ein Verhalten gehört sich nicht!) und verpflichtet (Ich muss artig sein!). Pflicht, Schuld, Scham … keine schönen Gefühle. Dass es an dieser Stelle eigentlich um etwas ganz anderes geht, (nämlich um meine eigenen Bedürfnisse nach Halt, Schutz und Geborgenheit) ist mir in diesen Momenten überhaupt nicht bewusst. Ich bin meist in meinem Kopf unterwegs ohne Verbindung zu meinen wahren Gefühlen und damit kein bisschen in der Lage, meine emotionalen Verstrickungen auch nur annähernd zu durchdringen.

 

Ich verwende viel Zeit, um mit dem Thema besser klar zu kommen, vor allem um meine innere Zerrissenheit besser zu verstehen. Ich besuche Beratungsstellen, Seminare, rede mit Freundinnen und nehme therapeutische Hilfe in Anspruch. Der Versuch mit meiner Mutter darüber zu sprechen, gelingt nicht wirklich, da sie meine Worte anders versteht als gemeint und sich verletzt und abgelehnt fühlt. Das Ergebnis ist Sprachlosigkeit und ich ziehe mich immer weiter in mir selbst zurück. Auch wenn sich die Beziehung zu meiner Mutter irgendwann auf einem distanzierten Niveau einpendelt, ist die Situation an sich nicht wirklich gelöst und schlummert weiter vor sich hin. Ich fühle mich wie ein schwarzes Schaf, das anders ist als die anderen aus seiner Herde.

 

Bekanntschaft mit C.G. Jung ...

 

Da sich die emotionalen Knoten von alleine nicht lösen, bin ich unermüdlich auf der Suche nach Erklärungen. Ich möchte wissen, woher es kommt, sich so zerrissen zu fühlen. Ich möchte wissen, warum sich mein Leben so oft schwer und anstrengend anfühlt.

 

Ich beginne mich immer mehr mit der Frage nach dem Zusammenhang von Körper, Geist und Seele zu beschäftigen und entdecke die Psychologie als Thema und Erklärungsgrundlage für mich. Besonders der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung hat es mir angetan. Von ihm geprägte Begriffe wie „Archetypen“ und „Schatten“ scheinen mich von nun an zu verfolgen. Immer wieder stoße ich beim Stöbern im Internet auf sie. Ein Schlüsselmoment ist, als ich in diesem Zusammenhang das Wort „Individuation“ entdecke, das tief in mir etwas zum Schwingen bringt.

 

Individuation (Ganzwerdung) ist ein Prozess und bedeutet als Mensch man selbst zu werden, ganz zu werden, bei sich selbst anzukommen. Es geht darum, seine wahre, ganz eigene Individualität zu erkennen und anzunehmen. Kurz: Erkenne das Potential, das in Dir steckt, und lebe danach! Ich habe schon so lange das Gefühl, nicht „mein“ Leben zu führen und komme mir damit so fremd, so allein gelassen vor. Und nun bekommt dieses diffuse Gefühl endlich seinen eigenen Namen. Individuation. Ganzwerden. Meine innere Suche scheint einen Sinn zu ergeben.

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