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#4 - Der innere Ruf - Angst und Zweifel

Wachgerüttelt ...

 

Ich bin 50 als mir mein Cousin, den ich schon lange nicht mehr gesehen habe, bei einem großen Familienfest eine verhängnisvolle Frage stellt. „Bist du eigentlich glücklich?“ Wow!! Die Frage sitzt und trifft emotional betrachtet voll ins Schwarze. Ich finde es allerdings unerhört, mich ausgerechnet jetzt damit auseinander setzen zu müssen.

 

Nach dem Fest vergesse ich den Zwischenfall schnell wieder. Das dies nicht lange funktioniert, ist eigentlich klar. Und so beginnt mein Unterbewusstsein zu arbeiten und ungute Gefühle auszuspucken. Angst vor Krebs und Angst vor Altersarmut breiten sich aus. Dazu gesellt sich eine kurze depressive Phase, die mich bereits morgens heulend aufwachen lässt. Mir ist wieder einmal alles zu viel. Ich gehe zu Ärzten, u.a. zu einer Neurologin, die mir Tabletten verschreibt, die ich aber nicht einnehmen möchte. Ich spüre, dass es einen anderen Weg als Medikamente zu nehmen geben muss. Einen Weg, der mehr mit mir selber zu tun hat.

       

Die Lösung heißt Amrum. Ich gönne mir eine Pause und reise für 10 Tage allein auf diese Insel. Es ist die Idee meines lieben Freundes, der - wie immer - für mich da ist und die richtigen Impulse gibt. Amrum mit seinen einsamen Stränden ist perfekt zur inneren Einkehr. Überall und rundherum einfach nur Wasser, Weite und pure Natur. So komme ich zur Ruhe und auch zur Klarheit. Ich beschließe einen Vorbereitungskurs zur Heilpraktikerin für Psychotherapie zu belegen und melde mich dafür in einer kleinen Schule an. Ich habe in den letzten Monaten immer wieder bedauert, dass ich früher nicht Psychologie studiert habe. Die Heilpraktiker Ausbildung soll als kleiner Ersatz dafür dienen. 

 

Veränderungen ...

 

Der Heilpraktikerkurs beginnt im folgenden Frühjahr. Die Ausbildung ist genau das Richtige. Endlich kann ich mich "richtig" mit dem Thema Psychologie beschäftigen. Obwohl es viel zu tun gibt, fühle ich mich selten überfordert und habe Spaß am Lernen. Im Rahmen der Vorbereitungen auf die Abschlussprüfungen geschieht allerdings etwas Unerwartetes: Ich bekomme auf einmal erhebliche Zweifel, die nicht nur mit einer reinen Prüfungsangst im Zusammenhang stehen. Es ist der Glaubenssatz „Ich habe es nicht verdient“, der auf einmal in meinem Inneren sehr klar auftaucht. Bislang sind mir solche Glaubenssätze noch nicht begegnet. Als ob ich dafür bestraft werden soll, dass ich mich nun um meine eigenen Interessen kümmere. Es verunsichert mich und ich habe Glück, dass die Frau, die ich als Coach zur Prüfungsvorbereitung aufsuche, mir helfen kann, damit umzugehen, so dass ich die anstehenden Prüfungen beide (schriftlich und mündlich) auf Anhieb bestehe.  


Ich ahne nicht, dass mir ein halbes Jahr später weitere Glaubenssätze begegnen werden …

 

Eine weitere Veränderung in dieser Zeit ist, dass meine Tochter zum Jobben nach London geht. Unsere gemeinsame Wohnung fühlt sich nun irgendwie leer an. Das habe ich so nicht erwartet. Ich dachte, es genießen zu können, wieder mehr Raum für mich zu haben. Ich habe mir sogar ein Arbeitszimmer zum Lernen der Heilpraktiker-Themen eingerichtet, das ich aber im Grunde kaum nutze. Irgendwann fällt eine innerliche Last von mir. Es ist die Verantwortung für meine Tochter, die ich in der Zeit der Alleinerziehung unbewusst (vor allem aber für mich allein) auf meinen Schultern getragen habe. All die Sorgen, wie es in der Schule läuft, ob sie das Abitur schafft, wie es danach weiter gehen wird usw. Endlich kann ich dieses Päckchen loslassen. Ich bin immer weniger in meiner nun „verwaisten“ Wohnung und (ohne es geplant zu haben) ziehe ich nach und nach immer mehr bei meinem Freund ein.

 

Das Zusammenleben in dessen kleiner Wohnung fühlt sich sehr gut an (bis auf die Tatsache, dass es auf Dauer zu eng ist). Wir beschließen eine gemeinsame, größere Wohnung zu suchen. Dies ist ein Entschluss, der auf meiner Seite eine Weile gebraucht hat, denn es bedeutet, dass ich nun meine alte Wohnung endgültig aufgebe. Ein Gedanke, der mir zunächst sehr schwer fällt. Es ist ein Stück Unabhängigkeit, eine letzte Sicherheit, die ich damit loslasse. Doch da auch meine aus London zurückgekehrte Tochter inzwischen in eine WG gezogen ist, kann ich spätestens jetzt erkennen, dass es keinen Grund mehr gibt, noch an dieser Wohnung festzuhalten.

 

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