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#8 - Blick hinter die Kulissen - Die inneren Anteile

Das Kind, die junge Frau und der Tiger ...

 

Inzwischen ist seit den inneren Dialogen eine Weile vergangen. Ich habe mir seit der "Entdeckung" meiner verletzten Anteile keine weiteren bzw. neue Fragen mehr gestellt. Vielmehr spüre ich immer mal wieder in die Anteile hinein und gucke, ob sich hier etwas neues zeigen möchte. Und tatsächlich, in Bezug auf die "kleine" und die "große" Andrea ist inzwischen einiges passiert. Zudem hat sich inzwischen noch ein weitere Anteil hinzugesellt (der Tiger) und mir "seine Geschichte" erzählt.

  • Das Kind und die junge Frau

Zur Erinnerung: Das verzweifelte Kind und die junge Frau (die "kleine" und die "große" Andrea) sind einsam und hilflos. Sie erscheinen in mir, wenn ich mich überfordert oder nicht gesehen fühle. Oft macht sich dann Ohnmacht breit und die Anteile wissen gar nicht, wer sie eigentlich sind. Beide fühlen sich irgendwie heimatlos an. Das verzweifelte Kind hat Angst, Angst immer wieder verletzt zu werden und möchte Trost. Die junge Frau traut sich nicht Gefühle zuzulassen, obwohl sie sich so gerne zeigen würde, wie sie ist. Dadurch fühlt sie sich unsichtbar. Verletzbar zu sein, ist für beide ein absolut wunder Punkt, ihre (meine!!) Verletzlichkeit war für sehr lange Zeit hinter sehr dicken Mauern versteckt.

 

Nach einer Weile geschieht etwas Merkwürdiges in meinem Inneren. Die beiden Andreas schließen Freundschaft, sie verbinden sich miteinander. Die junge Frau schenkt dem kleinen Kind Schutz und Anteilnahme, sie steht ihm als Freundin zur Seite und hat selber das Gefühl, gebraucht zu werden und etwas geben zu können. Die beiden fühlen sich sicher und aufgehoben in mir. Sie empfinden Geborgenheit und Akzeptanz, das was ihnen bisher gefehlt hat. Das hört sich an wie eine ausgedachte Geschichte, ich weiß, aber es passiert – einfach so. In mir entsteht ein emotionales Bild, das mich ab jetzt begleitet. Ich trage zwei Wesen in mir, die füreinander sorgen und sich gegenseitig vertrauen. Das Bild entspringt einem sicheren Raum tief in mir. Es ist mein Herzensraum.

 

Mit dieser Entwicklung tauchen die Ohnmachtsgefühle des Sommers allmählich immer seltener auf. Allerdings erscheint statt dessen ein ganz neuer Anteil in mir, den es vorher noch nicht gegeben hat. Es ist ein Tiger... 

  • Der Tiger

Es ist eine Geschichte, die sich nach und nach durch innere Bilder in mir entwickelt. Sie handelt von einem Tiger, der sich in einem Käfig befindet und hinter den Gitterstäben seines Gefängnisses wie wild hin und her läuft. Dem Käfig nähern sich das Kind und die junge Frau, die kleine und die große Andrea. Die beiden bleiben interessiert stehen und beobachten das Tier zunächst aus der Ferne. Das Kind hat große Angst und lässt sich von der jungen Frau Mut zusprechen.

 

Irgendwann beruhigt sich der Tiger und legt sich nieder, er schläft ein. Daraufhin traut sich das neugierige Kind näher an den Käfig heranzutreten, es greift sogar mit seiner Hand durch die Stäbe hindurch. Langsam berührt es das weiche und warme Fell des Tigers, bis dieser erwacht. Dem Tiger gefällt es sehr, gestreichelt zu werden, und er beginnt zu erzählen, dass es ihm im Moment gar nicht gut gehe, da er so stark verletzt sei, und dass er sich daher nun viel ausruhen müsse. Er würde so gerne bald wieder gesund sein und sein Leben in Freiheit genießen. Die junge Erwachsene und das Kind beschließen, ihn gesund zu pflegen. Jeden Tag bringen sie ihm etwas zu fressen und streicheln ihm das Fell.

 

Eines Tages, als die Tür des Käfigs einen Spalt geöffnet ist, tritt das Kind allein hinein, um dem Tiger Gesellschaft zu leisten. Es fürchtet sich inzwischen nicht mehr, da es erkannt hat, dass er trotz seiner Stärke auch eine sehr verletzliche Seite in sich trägt. Als der Tiger eines Tages geheilt ist, bedankt er sich für die Zuwendung und das Vertrauen seiner beiden neuen Freundinnen. Er möchte sich nun alsbald wieder auf seinen Weg machen und schlägt vor, dass sie ihn doch begleiten könnten. Darüber müssen beide nicht lange nachdenken. Ohne zu wissen wohin die Reise sie führen wird, wollen sie mit ihm gehen, setzen sich auf seinen Rücken und ziehen gemeinsam los. Seitdem sind sie unterwegs in meiner inneren Welt. Und damit gibt es nun drei in mir lebende Wesen, die für einander da sind.

 

Auch der Tiger ist ein verletzter Anteil von mir. Allerdings hat er irgendwie eine andere Qualität als die anderen. Es wird mir erst in einer ganzen Weile wie Schuppen von den Augen fallen, was die eigentliche Bedeutung des Tigers und auch dieser kleinen Geschichte ist bzw. was mein Unterbewusstsein mir bereits an dieser Stelle versucht hat mitzuteilen. Wenn es soweit ist, werde ich darüber schreiben. Versprochen!

 

Die „Kinder“ und die „Erwachsenen“ ...


Ich habe bereits sei einer Weile das Gefühl, dass meine einzelnen Anteile unterschiedliche Qualitäten und Funktionen einnehmen. Inzwischen habe ich eine erste Idee (ein erstes Verständnis) bzgl. dieser Zusammenhänge und versuche sie wie folgt zu beschreiben:

 

Es gibt die verletzten, passiven Anteile. Sie kommen aus einer vergangenen Zeit und sind dort in ihrer Entwicklung irgendwie stehen geblieben, fast wie eingefroren – das sind das Kind, die junge Frau und der Tiger (ich nenne sie der Einfachheit halber die inneren Kinder). Sie nehme ich überwiegend als innere Bilder wahr. Bei ihnen geht es darum, den eigenen Platz im inneren System zu finden und sich hier sicher und friedvoll zu fühlen. Ich glaube, dass der Tiger in diesem Zusammenhang eine extra Rolle einnimmt, die ich jedoch an dieser Stelle noch nicht so genau benennen kann.

  

Und dann sind da noch die Anteile, die ein ganz bestimmtes Gefühl zum Ausdruck bringen – die Erschöpfte, die Gefangene und die Erstarrte (ich nenne sie die Erwachsenen). Bei ihnen fühlt es sich so an, als wären sie ein aktueller Teil von mir (als wären sie im Gegensatz zu den inneren Kindern mit mir „mitgewachsen“). Auch in diese Anteile spüre ich immer wieder hinein und schaue quasi, "wie es ihnen geht". 

  •  Die Erschöpfte

Die Erschöpfte in mir taucht gerne dann auf, wenn ich viel Stress oder Druck habe. Wenn mir alles zu viel ist. Sie möchte sich dann am liebsten zurückziehen und ihre Ruhe haben. Sie zeigt sich oft abends am Ende des Tages und lässt mich schnell müde werden. Jetzt, da ich nicht mehr so oft im Hamsterrad stecke, macht sich diese Erschöpfung noch viel mehr bemerkbar. Ich kann mich oft nur noch schwer aufraffen, etwas zu tun. Das ging früher besser, auch wenn ich nicht wirklich immer Lust hatte, alle Dinge zu erledigen. Die erschöpfte Frau in mir möchte sich einfach nur noch ausruhen, auch um ihre Kräfte zu schonen und diese besser einzuteilen. Sie nimmt sich zunehmend die Freiheit dafür und lässt Unerledigtes einfach liegen. Das wäre früher kaum möglich gewesen. Eine innere antreibende Kraft hätte schon dafür gesorgt, dass all die anstehenden Pflichten erledigt werden (Hamsterrad). 

Ich nehme in mir ein Bild wahr, wie sich die Erschöpfte auf eine gemütliche Couch legt und sich ausruht. Mein innerer Raum ist auch für sie zum Rückzugsort geworden.

  • Die Gefangene

Seitdem die anderen Anteile versorgt sind, kommt das Gefühl gefangen zu sein immer öfter an die Oberfläche, vor allem nachts, wenn der Körper zur Ruhe gekommen ist. Ich spüre dann innere Unruhe, Rastlosigkeit, Herzpochen und gleichzeitig Enge und Anspannung im Brustkorb. Es fühlt sich an, als ob mein ganzes System bei angezogener Handbremse gleichzeitig Vollgas geben will. Als ob eine bislang unterdrückte Energie endlich herausgelassen werden möchte. Doch irgendetwas hindert diese eingesperrte und gefangene Energie daran, sich zu befreien. Es ist ein diffuses Gefühl, die Freiheit nicht verdient zu haben. Das ist komisch, denn eigentlich steht das Hamsterrad (das für die Gefangene ihr „Gefängnis“ darstellen könnte) schon seit einer ganzen Weile still. 

Die Gefangene könnte das Hamsterrad einfach hinter sich lassen. Warum tut sie es nicht?

  • Die Erstarrte

Der letzte Anteil, der nun immer öfter in den Vordergrund rückt, ist die Erstarrte. Situationen ihres Erscheinens kann ich nicht wirklich gut zuordnen. Es fühlt sich an, als ob sie hinter einer Glastür steht und hindurch sieht – hinaus in die Welt. Die Tür ist geöffnet, leicht angelehnt, aber die Erstarrte tritt nicht hinaus in das Leben, sondern beobachtet einfach nur, was dort geschieht. Sie ist nahezu bewegungsunfähig (wie erstarrt) und gleichzeitig unmotiviert und lustlos. Sie kann sich einfach nicht aufraffen. Ihr fehlt ein Ziel, sie weiß nicht wofür sie sich interessieren oder wohin sie sich bewegen könnte. Das fühlt sich nicht schön an, ist aber auch nicht schlimm. Hier stecken keine Energie, kein Druck dahinter, so wie es bei der Gefangenen der Fall ist. 

Die Erstarrte hat Zeit, sie wartet auf etwas. Worauf, das weiß ich noch nicht.

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